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Ein unterhaltsamer Lehrgang von Andreas Horwath in natürlich sieben Teilen
Was ist eigentlich Improvisieren? Umgangssprachlich bezeichnet es den Umstand, mit nicht
vorhandenen Mitteln das zu erreichen, was geplant war. Doch in diesem kleinen Lehrgang
steht das Musikalische im Vordergrund, hauptsächlich das Improvisieren im Jazz. Nach einem
Exkurs in Musiktheorie gibt es 11 handfeste Tips, wie man zu besseren Improvisationen kommt.
Früher, zu Mozarts und Beethovens Zeiten, wurde von Kadenz gesprochen. Darin hatte der
Solist (fast) alle Zeit der Welt, sein Können und sein musikalisches Verständnis zu zeigen.
Er griff die bereits vorhandenen Themen auf, veränderte sie, fügte eigene Gedanken hinzu
und verwob das Ganze zu einem virtuosen Teppich, zu dem der Zuhörer bewundernd aufblickte.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Kadenz wird zwar als Solo bezeichnet, bei
der eine Akkordfolge vorgegeben wird. Doch der Rest ist gleich geblieben.
Wie ein virtuoser Teppich gewebt wird steht im zweiten Teil.
Die meiner Meinung nach wichtigste Grundlage bilden die Akkorde, die dem Soloteil
unterlegt sind. Diese zu kennen, zu hören, ihre Bedeutung zu fühlen, das ist
entscheidend. Darum kommen jetzt ein paar Kontrollfragen.
Sagt dir Dur, Moll, vermindert, übermäßig, Septakkord, Kreuz-neun-b-dreizehn oder
Minus-fünf-kreuz-elf etwas? Was sind dur- oder moll-Tonleitern? Was ist der Unterschied
zwischen harmonisch und melodisch? Und was bitte ist äolisch? Ist eine Tonika ein
römisches Bekleidungsstück und hat die Dominante ein Studio?
Falls du auf diese Fragen keine Antwort kennst, folgt hier
Tipp 1: arbeite ein Buch über Harmonielehre durch, eventuell eins mit Fokus
auf Jazz-Harmonik. Spiele alles, was du erarbeitest, auch auf deinem Instrument durch.
Weiter geht es im dritten Teil.
Du spielst doch eins? Nein, nun man kann auch auf einem Kamm oder Gartenschlauch
improvisieren. Besser geht es mit der eigenen Stimme.
Tipp 2: Singe einfach zu einem Lied im Radio eine frei erfundene Melodie hinzu.
Je verrückter, desto besser.
Wenn du ein Instrument spielst, solltest du dieses beherrschen und nicht umgekehrt.
Welche Möglichkeiten bietet es, wie klingt es in welcher Lage? Das Technische muss dir
in Fleisch und Blut übergehen.
Durch den Stil wird vieles vorgegeben: das Tempo, die Form und die Art des Solos.
Blues, Bossa Nova oder Funk sind von der Stilistik her so unterschiedlich, da kann man
nicht immer dasselbe Solo spielen. Das Bluesschema besteht (meist) aus 12 Takten, die
in drei Teile aufgeteilt ist, harmonisch ist das Schema A-A-B. Beim Bossa sind es 8, 16
oder gar 24 Takte. Und beim Funk kann der Soloteil auch nur aus zwei Takten, dem Vamp, bestehen.
Tipp 3: Achte bei allem, das du hörst, welcher Stil es ist und ob es einen
Improvisation-Teil gibt. Viele Lieder, Songs, Schlager haben einen.
Wieviele Takte hat er und wie ist seine Form?
Also üben, üben, üben. Danach geht es zum vierten Teil.
Jetzt hast du gesungen, gehört, Bücher gewälzt, viel geübt und es
kommt der Moment, ein eigenes Solo zu spielen. Doch worauf kommt es an? Worauf muss ich
achten? Im folgenden werde ich einige bedeutsame Punkte ansprechen. Ziehe das heraus,
was für dich wichtig ist.
Frage-Antwort: stelle eine Frage und beantworte sie auch. So entsteht ein Dialog, der
spannend ist für den Zuhörer.
Tipp 4: ganz besonders gut passt dies beim Blues: 2 Takte Frage, 2 Takte Antwort.
Aufteilung: wie lange ist die Improvisation? Sind es 8, 12, 16 oder noch mehr Takte?
Wieviele Durchgänge sind zu spielen? So wie der Feuerwerker darfst du dein Pulver nicht
schon zu Anfang verschießen. Es sei denn, es ist beabsichtigt.
Tipp 5: Plane das Solo in verschiedene Phasen ein, z.B. Einleitung, Steigerung und
Höhepunkt. Überlege, was du spielen möchtest.
Weiter mit dem fünften Teil.
Spannung: wie erzeuge ich Spannung? Dazu gibt es verschiedene Gestaltungselemente (ohne Anspruch auf Vollständigkeit).
Tipp 6: "Spiele" anfangs mehr Pausen als Noten.
Tonlängen: Phrasen aus Achteln erzeugen Bewegung, sind melodiös und harmonisch. Baue
so oft es geht, Achtelläufe ins Solo ein. Lange Notenwerte sind statisch.
Tipp 7: Fange eine Phrase nicht auf die Zählzeit an und spiele nicht auf die 1 des
nächsten Taktes zu. Fange lieber auf 'und' an und höre auf 'und' auf.
Und? Fällt dir etwas auf? Nein, dann schnell weiter zum sechsten Teil.
Was für Phrasen soll ich spielen?
Nun zuerst kannst du einzelne Phrasen des Themas spielen und sie abwandeln, rhythmisch
oder in der Tonhöhe. Dann gibt es Standardphrasen die immer passen, z.B. du-da-du-dat.
Oder du denkst dir eigene aus. Und wenn du eine gute gefunden hast, dann wiederhole,
spiele und variiere sie.
Tipp 8: Fange eine neue Phrase so an wie die letzte aufgehört hat.
Wie lang soll eine Phrase sein?
Nun, einen Ton sollte sie schon haben, sonst wär's ja eine Pause. Doch zu lang soll
sie auch nicht werden, erstens weil der Atem sonst nicht reicht und zweitens kann
dir Zuhörer schnell nicht mehr folgen.
Tipp 9: Brich 2-, 4-, 8-taktige Strukturen auf und spiele 2 Takte, 1 Takt Pause, ...
Ich komme noch einmal auf die Akkorde zurück. Verbinde die Akkorde mit der Phrase.
Welche Töne klingen gut, welche nicht?
Tipp 10: Verbinde nicht nur Takt 1 mit 2, 3 mit 4 sondern auch 2 mit 3, 4 mit 5, usw.
Das war's schon fast, nun noch zum siebten Teil.
Jetzt gibt es jede Menge Handwerkszeug zum Nachdenken und üben. Und tatsächlich,
der Musikus übt und übt im Kämmerlein. Doch immer nur alleine?
Erste Möglichkeit ist ein Begleitprogramm, das nach Eingabe der Akkorde und
des Stils bis zum Abwinken dein Solo untermalt.
Zweite Möglichkeit ist die Teilnahme an einer Jam-Session, die es regelmäßig in
jedem Jazzclub gibt. Und die dritte Möglichkeit ist, in der eigenen Big Band zu
improvisieren.
Tipp 11: Nutze jede Möglichkeit, ein Solo zu spielen. Wenn es ein neues
Stück gibt, wenn der Solo-Saxophonist krank ist oder ein Solist mehr gesucht wird.
Besonders bei Auftritten: Lampenfieber ablegen und durch.
Und nun wünsche ich viel Spaß
... von wegen Improvisieren sei schwierig.
Andreas Horwath, 29.11.2003